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„American Abstinence“, Vordiplom von Max Viktor Herbert (© Max Viktor Herbert, HfG Karlsruhe)

296 Dinge aus den Vereinigten Staaten von Amerika zählte ich am 11. Mai 2016 in meinem Leben. Auf (fast) all diese Dinge habe ich (fast) einen Monat lang verzichtet. Insgesamt 35 Tage begleitete ich mich dabei selbst mit einer kompakten Kamera.

Das wahre Ausmaß meiner Askese erkannte ich erst während der Dreharbeiten. Nicht nur haptische Dinge zählen zur Repräsentation der USA, sondern auch die amerikanische Popkultur und alle Wege der modernen Kommunikation inklusive des Internets. Die amerikanische Kultur mit ihren post-industriellen Errungenschaften und Innovationen ist für viele zu einer Ersatzreligion geworden, auch für mich selbst. Diese Erkenntnisse entlarvten die Naivität meiner ursprünglichen Idee. Es wurde zu einer herausfordernden Aufgabe, von heute auf morgen zum amerikanischen Eremiten zu werden. Meinen Versuch, diese Aufgabe zu meistern, schildert der 70-minütige Dokumentarfilm American Abstinence.

Da ich kein Interesse daran hatte, einen investigativ-journalistischen Dokumentarfilm zu drehen und noch viel weniger darauf aus war, die Keule des Antiamerikanismus zu schwingen, sollte der Film sich in meinem eigenen Kosmos bewegen und meinen individuellen Umgang mit den amerikanischen Dingen beschreiben. Die Zeit vertrieb ich mir mit Besuchen beim Friseur, leidenden Blicken in die Kamera und Zigaretten. Ab und zu versuchte ich ein Handy zu kaufen, las, trank, besuchte Freunde und spielte mit der Zoomfunktion. Das Experiment der Amerikanischen Abstinenz gestaltete sich insgesamt eher mühselig, vor allem die Nichterreichbarkeit, die anfangs als Vorteil erschien, wurde zur Bürde. Die singenden und zwitschernden Vögel vor meinem Fenster, die sonst ein Störfaktor waren (zum Beispiel, wenn man sich nachmittags um 15 Uhr die Blu-Ray-Raubkopie des letzten Gewinners des Filmfestivals von Cannes ansah), wurden zum Symbol meiner kurzzeitigen Befreiung aus der Informationsflut des 21. Jahrhunderts.

Werner Herzogs Vom Gehen im Eis und Michail Lermontows Ein Held unserer Zeit retteten mich noch über die erste Woche, doch die Lektüre von Texten über große, leidende Männer war kein nachhaltiger Ersatz für mein eigentliches Hauptproblem: meine scheinbar real existierende Internet- und Kommunikationsabhängigkeit. So wurde aus einem Film über die Abstinenz ein komischer Einblick in mein persönliches Leben und meinen zum Scheitern verurteilten Versuch, enthaltsam zu sein.

Betreut von: Prof. Răzvan Rădulescu, Ludger Pfanz

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